Hier noch der NZZ-Artikel, Teil 1:
Der EHC Kloten hat nach dem Aufstieg wieder eine Perspektive – das ist mehr, als manch einer bis vor kurzem gedacht hat
Nach vier Jahren in der Swiss League kehrt der Traditionsklub geläutert in die National League zurück. Und eine Kleinstadt hat ihre Leidenschaft für eine Institution wiederentdeckt.
Daniel Germann
Am 26. April 2018 verloren die Klotener das siebente Spiel der Ligaqualifikation gegen die Rapperswil-Jona Lakers in der 18. Minute der Verlängerung 1:2. Nach 56 Jahren ohne Unterbruch in der National League stieg der fünffache Meister ab – erstmals überhaupt in der Klubgeschichte.
Am Morgen darauf empfing der Präsident Hans-Ulrich Lehmann die Medien in seinem Event- und Tagungshotel in Glattfelden. «Wir stehen wieder auf», sagte er.
Lehmann hatte den sportlichen Crash des Klubs mit einem rigorosen Sparkurs provoziert. In der erfolgsverwöhnten Kleinstadt nahm ihm das manch einer übel. Man hatte sich arrangiert mit den Turbulenzen, welche den Klub in den Jahren nach den vier Titeln zwischen 1993 und 1996 verfolgten. Man verliess sich darauf, dass sich schon irgendjemand der Scherben annähme, die der jeweilige Vorgänger an der Klubspitze zurückgelassen hatte.
Kloten hatte sieben Besitzer in zwei Jahrzehnten
Beim EHC Kloten folgte Besitzer auf Besitzer: Peter Bossert, die Swissair, Jürg Bircher, Philippe Gaydoul, die Avenir Sports Entertainment des Kanadiers Ken Stickney. In den vergangenen zwei Jahrzehnten gehörte der Klub sieben verschiedenen Eignern. Die meisten von ihnen kamen mit grossen Visionen und vollmundigen Versprechungen.
Doug Piper, der Statthalter von Stickney, sagte im März 2016 in einem Interview mit der NZZ, man sei gekommen, um hier etwas Grosses aufzubauen: «Wir hätten uns hier gar nicht engagiert, wenn wir nicht an das Potenzial dieses Klubs glauben würden.» Zehn Tage später stiessen die Nordamerikaner den EHC Kloten ab und engagierten sich im Lausanne HC.
Der Einzige, der wirklich Wort hielt, war Lehmann. Als er den Klub übernahm, sagte er, er nehme auch den Abstieg in Kauf, wenn dieser nötig sei, um den Klub finanziell wieder auf gesunde Beine zu stellen. Im Frühjahr 2018 wurde die düstere Prognose des Unternehmers Realität. Mit einem Budget von 16,8 Millionen Franken stieg der Klub in die Swiss League ab. Er hatte Spieler im Kader, die inklusive der Lohnnebenkosten fast eine Million Franken kosteten. Andere verdienten immer noch gegen 400 000 Franken, obwohl sie kaum mehr auf dem Eis standen.
Der Marketingspezialist Mike Schälchli übernahm den Klub von Lehmann und stellte ihn neu auf. Der grosse Ausverkauf begann: Denis Hollenstein wechselte ins Hallenstadion zu den ZSC Lions, Vincent Praplan versuchte sich in Nordamerika, der SC Bern verpflichtete Matthias Bieber und Daniele Grassi.
Eine Gruppe von sechs Investoren hält heute die Aktien. Schälchli selbst, Heinz Eberhardt, Jan Sommerhalder und Urs Stieger besitzen je ein Paket von zwanzig Prozent; Peter Neukom und Jan Schibli zusammen zehn Prozent. Anders als ihre Vorgänger suchen sie nicht den persönlichen Ruhm, sondern sind der Region mehr oder weniger eng verbunden.
Jan Schibli ist dem EHC Kloten seit fünfzig Jahren verbunden
Jan Schibli ist so etwas wie das Gewissen dieses Klubs. Seit fünfzig Jahren ist seine Firma, ein Unternehmen aus der Elektrotechnikbranche, dem EHC Kloten verbunden. Bereits sein Vater beschäftigte Klotener Spieler in seinem Betrieb und ermöglichte ihnen, dem Sport unter halbprofessionellen Bedingungen nachzugehen. Als Jürg Bircher den Klub 2012 mit seinem hochriskanten Kurs an den Rand des Konkurses gewirtschaftet hatte, war Schibli der letzte Verwaltungsrat, der an Bord des sinkenden Schiffs geblieben war.
«Ich schätzte ab, welches Risiko das Ende des Klubs für mich und meine Firma gewesen wäre, und kam zu dem Schluss, dass der Schaden kleiner ist, wenn ich bleibe und den Klub zu retten versuche.» Die Überschuldung betrug damals 11,8 Millionen Franken. Philippe Gaydoul und sein Partner Thomas Matter verlangten, dass die Schulden auf 3 Millionen gedrückt würden, damit sie einstiegen.
Schibli verzichtete als einer der grössten Gläubiger auf rund 3 Millionen Franken. Er sagt heute, das Engagement habe sich für ihn und seine Firma gelohnt. Der Reputationsschaden, den ein Konkurs verursacht hätte, wäre um ein Vielfaches grösser gewesen.
Kloten ist im Innersten ein Dorf geblieben
Der Flughafen hat aus dem einstigen Bauerndorf Kloten in Rekordzeit eine Stadt gemacht. 1950, kurz vor seiner Eröffnung, hatte die Gemeinde 3429 Einwohner, die vorwiegend in der Landwirtschaft oder dem Kleingewerbe tätigen waren. Ende 2020 zählte Kloten gemäss der Statistik 20 959 Einwohner.
Doch im Innersten ist Kloten ein Dorf geblieben. Man kennt und beobachtet sich gegenseitig. Bircher war in der Gemeinde geduldet, solange der Klub Erfolg hatte und mit dem HC Davos, dem SC Bern oder den ZSC Lions mithielt.
Als sein riskanter Kurs offensichtlich wurde, begannen sich immer mehr Menschen von ihm und dem EHC abzuwenden. Auch der Retter Philippe Gaydoul wurde in Kloten nie wirklich aufgenommen. Man nahm sein Geld, doch als Person akzeptiert wurde er nie.
Huber sagt: «Man kann sich wieder identifizieren mit dem Klub»
René Huber sitzt seit 1994 im Klotener Stadtrat, seit sechzehn Jahren ist er der Stadtpräsident. Ende März wurde er für weitere vier Jahre im Amt bestätigt. Gegenkandidaten gab es keine. Huber ist in der Gemeinde gross geworden. Er ist dem EHC seit seiner Kindheit verbunden und hat sämtliche Höhen und Tiefen erlebt; er hat gefeiert, aber auch gelitten. Noch heute ist er an praktisch jedem Match dabei.
Huber sagt: «Die Stimmung rund um den Klub ist nicht mehr vergleichbar mit jener zur Zeit der finanziellen Auswüchse. Man hat wieder Verständnis, kann sich damit identifizieren, was die Führung tut. Diese Leute arbeiten wieder mit der Region zusammen. Die Anhänger des Klubs mussten in den letzten Jahren unten durch.» Heute schätze man wieder, was rund um den EHC getan werde.
Huber war am Mittwochabend mittendrin, als der EHC Kloten die Rückkehr in die National League feierte. Doch so wenig wie all die anderen weiss er, was den Klub dort erwarten wird. Der EHC Kloten hat in den vergangenen vier Jahren in der Swiss League die Infrastruktur und auch den finanziellen Aufwand eines National-League-Klubs aufrechterhalten. In der vergangenen Saison leistete er sich ein Budget von 9,5 Millionen. Rund 7 Millionen davon entfielen auf den sportlichen Bereich. Das ist mehr, als die SCL Tigers oder der HC Ajoie eine Liga höher ausgegeben haben.
Der Verwaltungsratspräsident Schälchli sagt: «Wir wollten uns nicht mit den Verhältnissen in der Swiss League anfreunden.» Kloten sah sich auch in den vergangenen vier Jahren in der Swiss League als Klub auf der Durchreise. Nach seinem Selbstverständnis gehört er in die National League, will sich mit dem HCD, dem ZSC und dem SCB und nicht mit den Ticino Rockets oder dem HC Thurgau messen.
Wird das Klotener Publikum Niederlagenserien akzeptieren?
Die Flugjahre, in denen Kloten zwischen 1993 und 1996 vier Titel aneinanderreihte, prägen das Denken und die Ansprüche noch heute. Die Erinnerungen daran hängen in der Arena in der Form von zurückgezogenen Nummern unter dem Dach: 20 (Reto Pavoni), 24 (Felix Hollenstein), 26 (Mikael Johansson), 32 (Anders Eldebrink). Doch was ist, wenn sich die Geschichte nicht mehr neu beleben lässt? Wenn die Realität näher bei den SCL Tigers, Ambri-Piotta oder dem HC Ajoie liegen wird als bei den früheren Titelkonkurrenten?
Die Geschichte der Abstürze lastet wie ein Mahnmal auf dem Klub. Der Stadtpräsident René Huber sagt: «Angst? Nein, Angst habe ich keine.» Man müsse sich bewusst sein, dass Kloten in den kommenden Jahren kaum mehr so häufig siegen werde. «Doch lieber als zehnmal in Folge gegen irgendeinen No-Name gewinnen wir einmal in zehn Spielen gegen einen Grossen», sagt er.
Der EHC Kloten pflegt immer noch eine grosse und erfolgreiche Juniorenabteilung. Die U-15-Auswahl wurde soeben Schweizer Meister, die U 17 scheiterte im Halbfinal gegen den späteren Meister ZSC Lions, die U 20 im Viertelfinal gegen den HC Lugano. Kloten ist mit allen wichtigen Nachwuchsteams auf höchster Stufe vertreten. 660 Junioren spielen in der Organisation der Young Flyers. Der Stadtpräsident Huber sagt: «Wenn ich einen Wunsch habe, dann den, dass die Klubleitung in derselben bescheidenen und seriösen Art weiterarbeitet und den Nachwuchs nicht vernachlässigt.»
Huber weiss: Der Klub ist ein Aushängeschild. Mit ihm steht die Stadt im Schaufenster des Landes. In der multikulturellen Gesellschaft, die von der starken Zu- und Abwanderung des Flughafenpersonals geprägt wird, ist der EHC Kloten auch ein verbindendes Element, das Identität stiftet. Durch die Eskapaden der letzten eineinhalb Jahrzehnte hat dieses Element schweren Schaden erlitten. Deshalb ist auch das, was nun auf den Aufstiegsrausch folgen wird, eine Gratwanderung.
Kloten wird sein Budget in der National League erhöhen müssen. Der Präsident Schälchli rechnet mit 2,5 bis 3 Millionen Franken Mehrausgaben. In der National League sind ab der kommenden Saison sechs Ausländer spielberechtigt. Dazu hofft er, dass Kloten auf dem Markt zwei bis drei Spieler mit National-League-Erfahrung finden wird. «Ich bin sicher, wir sind besser aufgestellt als der HC Ajoie vor einem Jahr.»