Aus der heutigen NZZ
Ein Schnäppchen ist die Entdeckung der Saison
Der EHC Kloten beschäftigt mit dem Österreicher David Reinbacher ein Juwel – dieser wird in der ersten Runde des NHL-Drafts gezogen werden
Nicola Berger, Kloten
«Vertrauen», sagt David Reinbacher, «beruhigt den Menschen sehr.» Es ist seine Replik auf die Frage, wie er es schaffe, so cool zu bleiben, so abgeklärt, bei seinem kometenhaften Aufstieg zur Nummer 1 in der Verteidigerhierarchie im EHC Kloten.
Vertrauen, das ist eine Sache. Die andere ist, dass Reinbacher seit einem Jahr mit einem Heilpraktiker zusammenarbeitet, der ihm Atemübungen beigebracht hat. Das funktioniert, Reinbacher spielt eine so unwiderstehliche Saison, dass er im Sommer im NHL-Draft in der ersten Runde ausgewählt werden wird. Die Klotener Stimo-Arena ist in diesem Winter der Attraktion Reinbacher wegen zu einem Tummelfeld für Scouts geworden.
Fehler machen erlaubt
Reinbacher ist die Entdeckung dieser National-League-Saison, er ist der Aufsteiger des Jahres. Der 18-Jährige spielt fast 20 Minuten pro Abend, dirigiert das Klotener Powerplay und hat in 42 Spielen 22 Punkte produziert, gleich viele wie der frühere Nationalmannschafts-Captain Raphael Diaz, der bei Fribourg-Gottéron fast das Zwanzigfache verdient. Ohne Frage ist Reinbacher der Spieler mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis der Liga: Knapp 40 000 Franken verdient er momentan. In anderen Klubs gibt es Profis, die sitzen trotz einem Salär bis zu 650 000 Franken überzählig auf der Tribüne.
Im Klotener Kabinengang steht Jeff Tomlinson, der scheidende Coach. Der 52-Jährige sagte schon im Sommer im kleinen Kreis, Reinbacher könne die Überraschung der Saison werden. Aber auch er hat die Leistungsexplosion in diesem Umfang nicht erwarten können. Er sagt: «Reinbacher ist für uns ein Glücksfall. Er ist so unerschrocken, so abgeklärt. Und er wird jeden Monat besser.»
Das ist eine Einschätzung, die Roger Bader teilt. Der 58-jährige Zürcher arbeitete einst lange in Kloten, heute ist Bader Nationaltrainer Österreichs. Reinbacher spielt in Kloten mit einer Schweizer Lizenz, weil er aus Lustenau schon 2016 über die Grenze wechselte, im Nationalteam tritt er für Österreich an. «Er hat sich enorm entwickelt. Seine offensiven Qualitäten sind hervorragend, und auch defensiv ist er zuverlässig. Mich beeindruckt, wie geerdet er trotz dem ganzen Hype geblieben ist. Das ist nicht selbstverständlich.» Und Bader sagt auch: «Reinbacher hat in Kloten die perfekten Bedingungen mit einem Coach, der auf ihn setzt und unter dem er Fehler machen darf. Das ist so viel wert.»
Schwaches Kader als Vorteil
Es wäre eine Überraschung, würde Bader den Jüngling nicht für die WM 2023 in Finnland und Lettland nominieren. Österreich hatte in seiner Geschichte noch nie einen Verteidiger, der in der NHL in der ersten Runde gedraftet wurde, insgesamt waren es nur vier Spieler – unter ihnen Marco Rossi, der bei den ZSC Lions ausgebildete Stürmer der Minnesota Wild.
Tatsächlich ist Kloten für einen Emporkömmling wie Reinbacher das perfekte Biotop. Das Kader des Aufsteigers ist mit Ausnahme der Ausländer zu einem nicht unwesentlichen Teil mit Spielern bestückt, bei denen nicht klar ist, ob sie in der National League eine Zukunft haben. Reinbachers rasanter Aufstieg ist auch darin begründet: Dass es in Kloten an Talent fehlt – das ist nun einmal der Preis, den man in der Schweiz für einen Aufstieg bezahlt. Tomlinson sagt: «Er spielt nicht so viel, weil er 18 ist. Sondern weil er unsere beste Option ist.»
Reinbacher stammt aus einer Eishockey-Familie: Der Vater Harald verteidigte für Lustenau und Dornbirn. Das Elternhaus in Lustenau lag für die Söhne Tobias und David fünf Velominuten von der lokalen Eishalle entfernt. Der drei Jahre ältere Tobias wechselte 2014 in die Schweiz und 2018 nach Kloten. «Tobias ist mein Vorbild», sagt David Reinbacher, «ich wollte machen, was er macht.» Noch heute sei das so, sagt er, selbst jetzt, wo er seinen inzwischen wieder in Österreich spielenden Bruder längst überflügelt hat.
«Ich habe das Glück, vielleicht ein bisschen mehr Talent in die Wiege gelegt bekommen zu haben als er. Aber ich sehe, wie hart er für seine Ziele arbeitet. Das schaue ich mir von ihm ab», sagt David Reinbacher. Seine anderen Vorbilder heissen Brent Burns und Roman Josi. Mit Letzterem konnte er vor zwei Jahren in Wetzikon ein Training absolvieren, er schwärmt heute noch davon.
Teilzeitpensum als Recruiter
Um Josi nachzueifern, pendelte er mit 14 fast jeden Tag von Lustenau nach Kloten, anderthalb Stunden, mal fuhren ihn die Eltern, mal die Grosseltern. Und er erledigte auf der Rückbank die Hausaufgaben. Es sei eine anstrengende Zeit gewesen, sagt er. Aber sie hat ihn auf die Mehrfachbelastung von heute vorbereitet. David Reinbacher lässt sich an der United School of Sports ausbilden und arbeitet in einem Teilzeitpensum als Recruiter, eine Art Headhunter. Wenn ein Arbeitgeber eine bestimmte Position besetzen will, sucht Reinbacher diese Person und schreibt sie gezielt an, auf Linkedin etwa. Nicht nur im EHC Kloten erhält er mit 18 reichlich Verantwortung.
Seine Ausbildung dauert noch bis 2024. Und eigentlich ist sie auch im Eishockey mit einer Saison in der National League längst nicht abgeschlossen. Aber es ist in beiden Fällen unklar, ob Reinbacher sie hier wird fortsetzen können, über diesen Sommer hinaus. Es hängt davon ab, welche NHL-Organisation sich Ende Juni in Nashville die Rechte an ihm sichert – und welche Pläne sie mit ihm verfolgt. Der Kloten-Trainer Tomlinson aber sagt: «Er könnte von einer weiteren Saison bei uns enorm profitieren. Für seine Entwicklung ist es das Beste, wenn er viel spielt und Verantwortung übernehmen kann.»
Aus Tomlinson spricht in dieser Frage Eigennutz, er wird Kloten ja in einer noch nicht definierten Rolle erhalten bleiben und weiss sehr genau, dass der Verein Reinbacher nicht ersetzen könnte – schon gar nicht zum gegenwärtigen Schnäppchenpreis.
Er wisse nicht, was die Zukunft bringe, sagt Reinbacher, er nehme Tag für Tag. Ein bisschen wirkt er selber erstaunt darüber, mit welchen Riesenschritten er diese Liga, eine der besten der Welt, erobert hat. Er sagt: «Ich kann es manchmal fast nicht fassen. Aber es ist erst ein sehr kleiner Teil erreicht.» Irgendwo wird Roger Bader anerkennend nicken.