Der Tagi zur Erhöhung der Ausländer- bzw. NLA-Clubs-Anzahl: Teil 1/2
Diskussionen im Schweizer Eishockey
Im Dilemma zwischen Spar-Lüge und Spektakel-Liga
Am Mittwoch startet die Meisterschaft im Eishockey. Neu sind nicht nur 14 Mannschaften in der höchsten Liga, sondern auch sechs Ausländer pro Team. Das sorgt für hitzige Debatten.
Es gab einmal eine Zeit vor Corona. Da war es in Stein gemeisselt, dass die Schweizer Eishockeymeisterschaft auf höchster Stufe mit 12 Teams bestritten wird. Und dass in einem Spiel pro Team maximal vier Ausländer eingesetzt werden dürfen. Doch dann kam das Virus, und mit ihm eine abgebrochene Saison 2019/20, danach Spielverschiebungen und Geisterspiele. All dies löste bei den Clubs Panik aus, regelrechte Existenzangst. Spieler mussten in der Folge auf Teile ihrer Löhne verzichten, es wurden beim Bund Corona-Hilfsgelder beantragt und Saisonkarten-Inhaber eindringlich gebeten, auf Rückforderungen zu verzichten.
Und weil keiner wusste, was eine Relegation in solch unsicheren Zeiten bedeuten würde, wurde in den letzten beiden Saisons der Abstieg ausgesetzt – nicht aber der Aufstieg. So sind aus 12 nun 14 Teams geworden, mit Ajoie (2021) und vor allem Kloten (2022) sind die zwei ambitioniertesten Clubs aus der zweithöchsten Swiss League aufgestiegen.
Kein Plan für eine Rückstufung auf 12 Teams
Woran man dachte: Mehr Clubs benötigen mehr gute Spieler, also wurde beschlossen, ab der Saison 22/23 sechs statt vier Ausländer pro Team und Spiel zu erlauben – sollte es einst nur noch 13 oder wieder 12 National-League-Clubs geben, würde die Zahl der Imports auf fünf respektive vier zurücksinken.
Woran man nicht dachte: Wie kommt man wieder auf 12 Clubs? Es existiert kein Plan dafür, ein Modus mit zum Beispiel künftig zwei Absteigern bei nur einem Aufsteiger hat in der Liga politisch keine Chance mehr, zu viele fürchten eine mögliche Relegation. Solange kein Club freiwillig auf den NL-Platz verzichtet oder sich finanziell komplett ruiniert, wird diesbezüglich nichts passieren. Darum kann davon ausgegangen werden, dass für mehrere Jahre nun 14 NL-Clubs Tatsache sind und damit auch die sechs Ausländer pro Team.
Warum sorgte dies für so viele emotionale Diskussionen in der Hockey-Schweiz und tut es immer noch? Warum reden Fans von der grossen «Spar-Lüge» im Zusammenhang mit der Erhöhung der Anzahl Ausländer?
Die Teams wollten die Anzahl Imports ursprünglich mit der Absicht erhöhen, in Zeiten der (Corona-)Not die hohen Spielerlöhne zu senken. Qualitativ mindestens so gute, aber deutlich billigere ausländische Spieler sollten die Saläre nach unten drücken. Diese sind in der Schweizer National League nach der alles überragenden NHL und der russischen KHL die dritthöchsten im Welt-Eishockey. Für viele gute Spieler aus Osteuropa, aus der zweitklassigen nordamerikanischen AHL, aber auch aus Schweden und Finnland sind tiefere Löhne in der Schweiz immer noch lukrativer als jene in der Heimat. So weit die Theorie.
Nicht billiger, aber besser
Gekommen ist nun fast alles anders. Die neu zu den NL-Clubs gestossenen Importspieler sind zu einem beträchtlichen Teil Skandinavier, die aus Russlands KHL in die Schweiz kamen, darunter einige finnische Weltmeister und Olympiasieger. Also alles andere als Billig-Ausländer. Seit zehn Jahren, als die NHL-Saison wegen des Streits zwischen Spielern und Liga um den neuen Gesamtarbeitsvertrag erst im Januar 2013 begann und diverse Weltklasseathleten die Wartezeit auch in der Schweiz überbrückten, war die Qualität in der National League nie mehr so gross. Oder wie es ein NL-Sportchef kürzlich zusammenfasste: «Billiger wurde es in der Tat nicht. Aber besser.»
Natürlich hat dies mit einer komplett veränderten Ausgangslage zu tun. Als die Clubs beschlossen, die Anzahl der Teams und Ausländer aufzustocken, schien ein Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ein Ding der Unmöglichkeit. Als dieser begann, wurde damit als eine von vielen Nebenfolgen auch die Zukunft der KHL-Eishockeymeisterschaft beeinflusst. Viele Nicht-Russen wollten weg, auch mit der Folge, darunter viele hochkarätige Spieler, die sich selbst Schweizer Teams normalerweise nicht leisten können. Plötzlich wurden diverse darunter auch für NL-Clubs erschwinglich.
Das mag eine rationale Erklärung sein, glücklich macht sie hierzulande nach wie vor nicht alle. Sehr emotional geführt wird die Debatte, wenn es um Schweizer Spieler und insbesondere den Nachwuchs geht. Junge Spieler werden in der höchsten Schweizer Liga vergleichsweise nur sehr spärlich eingesetzt, die U-20- und U-18-Nationalteams zerreissen zudem schon länger keine grossen Stricke mehr. Die grossen Nationen sind diesbezüglich noch mehr entrückt, andere «Kleine» haben teilweise mehr als nur aufgeholt. In den NHL-Drafts blieben hohe Picks wie zuletzt Lian Bichsel letzten Sommer die absolute Ausnahme.
Und ausgerechnet jetzt kommen noch mehr Ausländer und nehmen den Schweizern die Plätze in der eigenen Meisterschaft weg. Diese Rechnung stimmt zwar einerseits nicht ganz: Eine 12er-Liga mit vier Imports pro Team und jeweils 22 Spielern auf einem Matchblatt bot Platz für 216 Schweizer. Bei einer 14er-Liga mit sechs Ausländern vergrössert sich diese Zahl gar leicht auf 224. Aber ganz so einfach ist das nicht. Denn die wichtigen Positionen in den vorderen Reihen und in den Special Teams Powerplay und Penalty Killing dürften nun in jedem Team vermehrt ausländische Spieler einnehmen.
«Wir werden dereinst wie die Österreicher mit keinem Goalie mehr an eine WM reisen, der in seinem Team die Nummer 1 ist.»
Lars Weibel, Direktor Schweizer Nationalmannschaft
Sorgen macht man sich darum bei der Schweizer Nationalmannschaft: «Sportlich dürfte das Niveau in der Liga steigen», sagt Direktor Lars Weibel, «doch aus Sicht des Nationalteams und mit Blick auf die Entwicklung des Schweizer Eishockeys birgt die Änderung grosse Gefahren.» Alarmiert ist der frühere Schweizer Nationalgoalie wegen der neuen Situation für die Schweizer Torhüter. Bei sechs statt vier Ausländern ist die Hemmschwelle deutlich kleiner geworden, eine Importlizenz an einen Torwart zu vergeben.
Zurzeit tun dies Ambri, Lugano, Kloten, die ZSC Lions und wegen der Langzeitverletzung ihres Schweizer Goalies Joren van Pottelberghe auch Biel. Dazu kommt bei Lausanne der Lette Ivars Punnenovs, der seine erste Lizenz in der Schweiz löste, darum in der NL nicht als Ausländer gilt, aber dennoch nicht für die Schweizer Nationalmannschaft eingesetzt werden kann. «Wir werden dereinst wie die Österreicher mit keinem Goalie mehr an eine WM reisen, der in seinem Team die Nummer 1 ist», befürchtet Weibel. Und fügt hinzu: «Und nicht nur die Schweizer Torhüter sind von der Erhöhung der Ausländerzahl betroffen.» Er dürfte vor allem die Center meinen, auf dieser Position bevorzugten die Schweizer Clubs für die vorderen Reihen schon immer häufig Importspieler.
Auch der Spielvereinigung Sihpu (Swiss Ice Hockey Players’ Union) steht ein ehemaliger Schweizer Nationaltorhüter vor. Präsident Jonas Hiller mag sich mit dem Vorgehen der Clubs ebenso wenig anfreunden: «Es ist nicht eingetroffen, was gesagt wurde. Eher scheinen sich unsere Befürchtungen zu bewahrheiten.» Er sei von einzelnen Clubs gar enttäuscht, sagt Hiller: «Ich bin der Meinung, man hätte mit fünf Ausländern starten und Schweizer Spieler pushen können. Nun hat aber jeder Club bereits mindestens sechs Top-Ausländer.»
Mindestens, weil einzelne Clubs mit momentan verletzten Imports bereits für Ersatz gesorgt haben. Oder weil Teams mit einem ausländischen Goalie eine weitere Option mit sechs ausländischen Feldspielern wollten für Partien, in denen für einmal der Schweizer Ersatzkeeper spielt.