Der Skorer, der von unten kam
Nach sieben Spielen führt Jonathan Ang die Skorerliste des National-League-Rückkehrers Kloten an –ausgerechnet der Stürmer, der aus der Swiss League zum EHC stiess. Der Kanadier macht keine grosse Sache daraus.
Für das Interview auf der Medientribüne ganz oben unter dem Dach in der Stimo Arena hat sich Jonathan Ang zwischen Eistraining und freiem Nachmittag genügend Zeit genommen. Interessiert und geduldig hört der 24-jährige Kanadier mit malaysischen Wurzeln zu, fragt geduldig nach, antwortet freundlich-professionell – und lässt immer wieder sein herzliches Lächeln aufblitzen. Bei manchen Fragen sucht der auf dem Eis so blitzschnelle Flügel indes auffallend lange nach einer Antwort. Immer dann, wenn es um seine persönliche Leistung in der bisherigen Saison geht, wirkt er etwas verlegen. Warum ausgerechnet er, der vom HC Thurgau, Klotens Playoff-Halbfinalgegner der vorigen Saison in der Swiss League, zu den Zürcher Unterländern stiess, offensichtlich am schnellsten in der höchsten Schweizer Liga angekommen ist und vom ersten Match an ins Tor traf, kann er sich selbst nicht erklären.
«Ich habe im Sommer genau gleich trainiert wie sonst und mache auch jetzt genau gleich weiter – ich spiele einfach Hockey und glaube an mich selbst», sagt Ang schliesslich. Er habe nicht gewusst, was ihn in der National League erwarte, und sich darum nur darauf konzentriert, was er am besten tun könne, um dem Team zu helfen. Dass es seinen Mitspielern, auch jenen, die aus höheren, ausländischen Ligen neu in die Schweiz kamen, punkto Torproduktion noch nicht so gut laufe, dafür könne es bei jedem von ihnen verschiedene Gründe geben. Er selbst habe im Laufe seiner Karriere Phasen erlebt, in denen er alles wie sonst auch tat – und trotzdem dem Torerfolg vergeblich hinterherrannte. «Das ist normal und kann immer mal vorkommen», sagt der Flügel. Sein Rezept, um aus solchen Phasen herauszufinden? «Ruhig bleiben, hart weiterarbeiten und sich weiterhin selbst vertrauen, dann kommt es irgendwann gut.»
Ein Motto, das er auch auf das ganze Klotener Team in der Frühphase der ersten National-League-Saison bezieht. Dabei sei ihm bewusst, dass jeder auf eine Negativserie, wie sie die Klotener zu Beginn der Saison durchlebten, anders reagiere. «Wenn wir die beiden Spiele, in denen wir in die Overtime gekommen sind, gewonnen hätten, sähe das Ganze schon anders aus», schätzt Ang.
Den Niveau-Unterschied zwischen der Swiss und der National League hat freilich auch Jonathan Ang bemerkt. «Das Spiel ist viel schneller, man hat viel weniger Zeit», beschreibt er. «Darum muss man immer schon, bevor man den Puck bekommt, eine Idee haben, was man damit vorhat.» Womöglich liegt hier auch der Schlüssel dafür, dass ihm die Anpassung ans höhere Niveau so nahtlos gelang: Der 1,81 Meter grosse und mit seinen 75 Kilogramm vergleichsweise schmächtig wirkende Filigrantechniker ist von Haus mit Hochtempo auf dem Eis unterwegs.[/COLOR]
Fast schon ein vertrautes Bild: Jonathan Ang lässt sich von seinen Klotener Teamkollegen als Torschütze feiern.
Dabei kommen Ang seine eisläuferischen Stärken zugute. Sie schulte er schon früh – und tat dies auch heuer in der Sommerpause, als er vor dem Trainingsstart in Kloten einige Wochen bei seiner Familie in Kanada verbrachte. Dort arbeitete er einmal mehr mit Dawn Braid zusammen. Über die ehemalige Eiskunstläuferin, die bereits mit 17 Jahren als Schlittschuh-Trainerin für Eishockeyspieler begann und 2016 als erste Frau überhaupt einen Vollzeit-Job als Coach in der NHL bekam, sagt Ang: «Was meine Schlittschuh-Technik angeht, verdanke ich ihr alles.» Ein echtes Geheimnis für seinen guten Saisonstart sieht er im sommerlichen Einzel-Eislauftraining indes nicht. «So etwas machen viele, das ist normal.»
Und ganz der bescheidene Profi, der selbstkritisch immer weiter an sich arbeitet, fügt er an: «Ich hätte in den ersten Spielen vieles besser machen und mehr Chancen nutzen können.»
Dass er in den ersten sieben NL-Partien fünf Tore und zwei Assists beisteuern konnte, freue ihn – das Vertrauen seiner Trainer zu spüren, ebenfalls. Letzteres trug ihm die Beförderung in Klotens erste Angriffslinie bei, in der Jonathan Ang seit dem dritten Saisonspiel an der Seite des finnischen Centers und Olympiasiegers Miro Aaltonen und zuletzt zweimal mit dessen Landsmann Arttu Ruotsalainen am anderen Flügel auflief. «Wir beginnen, eine gute Chemie zu entwickeln, lernen unsere Spielweise immer besser kennen», sagt er dazu. «Wir haben dieselbe Einstellung, und ich denke, wir ergänzen einander gut: Miro ist ein sehr guter Center mit viel Geduld und einem guten Auge für die Pässe im richtigen Moment. Das erlaubt mir noch besser, meinen Speed einzusetzen. Arttu spielt ähnlich wie ich, und alle drei sind wir technisch geschickt, wollen den Puck, können ihn halten, etwas damit anfangen – darum vertrauen wir einander.» Einen Anspruch auf einen Platz im ersten Block möchte er daraus indes nicht ableiten. «Ob erste oder dritte Linie, ist mir wirklich nicht wichtig – so lange ich auf die Art und Weise Hockey spielen kann, wie ich es möchte.»
Überhaupt fühle er sich in Kloten, wo er seit dem Beginn des Sommertrainings auch wohnt, rundum wohl – sowohl im Kreis seiner Mitspieler, mit denen er auch privat vieles gemeinsam unternehme, als auch ausserhalb der Eishalle. «Kloten ist grösser als Weinfelden, und nahe bei Zürich, das gefällt mir», sagt Jonathan Ang. In seiner freien Zeit habe er auch schon andere Teile der Schweiz gesehen. Die malerischen Aussichten, die Sauberkeit und Ruhe haben es ihm angetan, ebenso wie die «superfreundliche und respektvolle» Art, mit der ihm die Menschen begegneten. Förmlich zum Schwärmen bringt ihn gar die Ambiance in den hiesigen Hockey-Arenen: «Ich liebe unsere Fans, hier wird viel mehr gesungen und Stimmung gemacht als in Nordamerika, das spornt uns an.
Trotz aller Vorzüge hierzulande – das grosse Ziel des Kanadiers, der laut eigener Erinnerung als Zweijähriger in seiner Heimatstadt Markham im Bundesstaat Ontario mit dem Eishockey begann und als Kind in jeder freien Minute im Winter auf den gefrorenen Teichen dem Puck nachjagte, bleibt die National Hockey League. «Jeder will dort einmal hin», sagt der 24-Jährige dazu. «Und ich bin noch immer jung.» Im Entry Draft 2016 zogen ihn die Florida Panthers, 2018 und 2019 trainierte er im Sommer-Camp der NHL-Organisation mit und bestritt Testspiele. Zu Einsätzen in der besten Eishockey-Liga der Welt reichte es ihm damals nicht, stattdessen absolvierte er zwei Spielzeiten für das Panthers-Farmteam Springfield Thunderbirds in der AHL. Wie nahe er in dieser Zeit am Sprung in die NHL stand, könne er nicht sagen, auch nicht, warum es dafür noch nicht reichte. «Ich habe immer hart trainiert und mein Bestes gegeben», kommentiert Ang, «aber ich war damals noch jung und hatte keine so klare Idee von meiner Spielweise.»
Da er weiss, dass immer wieder Spieler aus der Schweiz in die NHL wechseln, glaubt er daran, es eines Tages auch zu schaffen. Allzu viele Gedanken mache er sich darüber aber nicht. Weiter als vier, fünf Jahre blicke er nie voraus. «Man darf nicht vergessen, dass viele hier in der Schweiz spielen wollen – es hier in die Liga zu schaffen, ist nicht selbstverständlich», betont Ang. Er wolle einfach Eishockey spielen, solange er könne, es geniessen – und gute Leute um sich herum haben. All das sieht er in Kloten für gegeben an.
Und seinem neuen Team werde es bald besser laufen, fügt er an, «das ist sicher.» Klotens erster Saisonsieg vom vorigen Freitag in Lugano könne sich als Wende zum Besseren erweisen.