NZZ/Nicola Berger, publiziert am 09.01.23/05:00
Larry Mitchell tingelte als Eishockeyprofi durch die obskursten Ligen – nun ist der Exot der Sportchef des EHC Kloten
Die Deutsche Eishockey-Liga geniesst in der Schweiz nicht den besten Ruf. Dennoch hat der EHC Kloten eine Schlüsselposition mit einem Mann aus diesem Umfeld besetzt. Weil es von Larry Mitchell heisst, er schaffe es, aus wenigen Ressourcen viel herauszuholen.
Larry Mitchell und Jeff Tomlinson kennen sich schon eine Weile, sie sind sich oft gegenübergestanden in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL). Als Patrik Bärtschi, der unterdessen entlassene Sportchef des EHC Kloten, im September in die MySports-Kamera sprach, seine Kündigung per Ende April 2023 habe überhaupt nichts mit einer «beruflichen Neuorientierung» zu tun, wie das der Klub kommuniziert hatte, griff Mitchell, gerade arbeitssuchend, zum Telefon und wählte Tomlinsons Nummer. Ob Kloten wohl bald einen Manager brauchen würde?
Klotens Trainer Tomlinson verneinte, geplant war ja, dass Bärtschis Nachfolger erst 2023 eingesetzt wird. Doch Mitchell, 55 Jahre alt, hatte den richtigen Riecher. Einen Monat nach dem Interview war Bärtschi Geschichte. Und bald darauf befand sich Mitchell auf der Autofahrt zu einem Vorstellungsgespräch in Kloten. Im Auswahlverfahren setzte er sich durch – und das hat etwas Überraschendes.
Aus gesundheitlichen Gründen muss der Trainer Jeff Tomlinson nach dem Saisonende kürzertreten
Denn die DEL geniesst in der Schweiz nicht den besten Ruf, sie wird manchmal belächelt, oft zu Unrecht. Es geschieht sehr selten, dass Schweizer Klubs Spieler aus der DEL engagieren. Noch rarer ist, dass Trainer aus dieser Liga angestellt werden. Eine Ausnahme war Hans Zach, der bei den ZSC Lions 1998 bald und krachend scheiterte.
Eine andere war Benoît Laporte, ein Frankokanadier, der bei Ambri-Piotta und den SCL Tigers entlassen wurde. In Ambri warf ein erboster Zuschauer einst einen Koffer aufs Eis – Laporte möge diesen doch bitte endlich packen und verschwinden. Als er 2009 in Ambri vorgestellt worden war, sagte Laporte, er habe von dem Moment an, in dem er erstmals die Valascia betreten habe, davon geträumt, diesen Klub dereinst zu coachen. Zwei Monate nach der Freistellung im Tessin übernahm er die Hamburg Freezers. Und interessanterweise war auch das die Erfüllung eines Lebenstraums, Laporte sagte die gleichen Sätze noch einmal auf.
Eines der wenigen positiven Beispiele ist Jeff Tomlinson, der 2015 in Rapperswil landete und die Lakers zum Cup-Sieg und zurück in die National League führte. Letzteres gelang Tomlinson, 52, nun auch mit Kloten. Und in der ersten Saison nach der Rückkehr ins Oberhaus übertrifft das Team bis dato alle Erwartungen, es wäre nach jetzigem Stand für die Pre-Play-offs qualifiziert. Doch: Aus gesundheitlichen Gründen muss Tomlinson nach dem Saisonende kürzertreten. Er wird dem Klub in einer noch zu definierenden beratenden Funktion erhalten bleiben.
Gemeinsam mit Mitchell wird Tomlinson in den kommenden Wochen den nächsten Coach suchen. Mitchell sagt: «Ich wäre ja sehr ungeschickt, wenn ich nicht vom Erfahrungsschatz von Jeff profitieren würde.» Zu den Kandidaten gehören Michael Liniger, der Trainer der GCK Lions, der schon im Sommer beinahe in Kloten gelandet wäre, und der Amerikaner Matt McIlvane, der den österreichischen Meister Salzburg betreut.
Mit Doug Shedden war er immer wieder aneinandergeraten
Mitchell sitzt in einem Klotener Café. Diese Lokalität war für das Treffen seine dritte Wahl; die erste war überfüllt, die zweite geschlossen. Noch kennt Mitchell nicht alle Nuancen des Klotener Dorflebens – und was das Schweizer Eishockey angeht, lässt sich das Gleiche sagen.
Seine Heimat ist Deutschland, er ist deutsch-kanadischer Doppelbürger und wurde in der Nähe des ehemaligen Militärstützpunkts Landsberg geboren, weil sein Vater dort stationiert gewesen war. Zurück in Kanada, spielte Mitchell auf hohem Niveau Juniorenhockey, doch die NHL blieb unerreichbar.
Mit 21 bot ihm der Dinslakener EC einen Vertrag: dritte Liga, 3000 Mark pro Monat. Er unterschrieb und tingelte mehr als ein Jahrzehnt lang durch die unteren deutschen Ligen. «Eine gute Zeit» sei das gewesen, sagt Mitchell. Nach der Karriere baute er sich ein Standbein als Spielervermittler auf. 2006 verkaufte er die Agentur, um sich auf das Coaching zu konzentrieren.
Zwar hat er den hiesigen Markt auch in seiner Funktion als Trainer und Sportdirektor von Ingolstadt und Augsburg verfolgt, doch der Fokus lag anderswo. Mitchell realisierte einige Zuzüge aus der Schweiz, etwa jene von Ville Koistinen (SCL Tigers), Petr Taticek (Davos) oder Greg Mauldin (Fribourg-Gottéron). Und kurz vor Weihnachten 2017 installierte er in Ingolstadt Doug Shedden als Coach, den ehemaligen Trainer von Zug und Lugano.
Shedden und Mitchell sind nach ansprechendem Beginn der Zusammenarbeit über die Jahre immer wieder aneinandergeraten. Mitchell will über diesen Fall nicht mehr reden, aber es gilt als verbürgt, dass er den Trainer mehrfach entlassen wollte, den Entscheid beim Klubbesitzer und Präsidenten jedoch nicht durchbrachte. Das ist nicht unwichtig, denn es bedeutet, dass Mitchell gewohnt ist, mit eigenwilligen Entscheidungsträgern zusammenzuarbeiten.
Er führte Augsburg völlig überraschend in den Play-off-Final
Mitchell sagt, in den knapp zweieinhalb Monaten in Kloten habe er nur gute Erfahrungen gemacht, er finde es gut, wenn der Verwaltungsrat «hands-on» agiere. Sein Optimismus ehrt ihn, aber die Aufgabe ist knifflig: Er soll diese Mannschaft, die gegenwärtig über ihren Verhältnissen lebt, verstärken. Und dafür nicht mehr Geld ausgeben als bisher – das Budget wird nächste Saison praktisch identisch bleiben, für die Lohnkosten sind knapp 5,4 Millionen Franken veranschlagt. Das ist marginal mehr als in diesem Winter. Der seit Monaten verletzt fehlende Verteidiger Jordan Schmaltz wurde fremdfinanziert, 2023/24 erhöht sich der Etat um die für ihn aufgewendete Summe.
Aus wenig viel machen, das sei eine von Mitchells grossen Stärken, sagt Tomlinson: «Er passt perfekt zu Kloten, denn in der DEL hat er mit Teams mit kleinen Budgets immer extrem viel herausgeholt. Er hat Augsburg in den Final geführt, das war unfassbar.» 2010 war das, die Augsburger Panther haben seither noch eine Play-off-Serie gewonnen.
Es wird Mitchell helfen, dass Kloten sich zum Saisonende diverser Altlasten entledigt. Sich trennen kann von Spielern, die in der Swiss League eine wichtige Rolle spielten, in der Beletage aber in zu grossen Schuhen stehen. Das derzeitige Kader ist aufgeblasen, «viel zu gross», wie es Mitchell ausdrückt. Einige Spieler sind in die Swiss League verliehen worden, belasten den Etat aber noch immer.
Kloten hat von der Aufstockung der National League auf 14 Teams profitiert, dem Klub blieb im letzten Frühjahr der Gang in die beschwerliche Ligaqualifikation erspart. Auf dem Transfermarkt aber spürt der Klub den Verdrängungskampf; es gibt zu wenig valable Schweizer Spieler. Und Kloten steht – bei aller Tradition – in der Nahrungskette weit unten.
Mitchell sagt, sein wichtigstes Argument in Vertragsgesprächen sei, dass junge Spieler reichlich Entfaltungsmöglichkeiten erhielten. Was nachweislich stimmt. Der erst 18 Jahre alte Verteidiger David Reinbacher ist die Entdeckung der Liga, er dürfte im NHL-Draft im Sommer sehr früh selektioniert werden. Nur: Eine Nische ist das nicht, Nachwuchsförderung schreiben sie sich auch in Ambri, Rapperswil, Davos, Langnau oder Ajoie auf die Fahnen, mal mehr und mal weniger glaubwürdig.
Ermutigend für Kloten muss die Verpflichtung von Leandro Profico sein, der mit 32 Jahren zwar nicht jung, dafür aber etabliert ist. Profico war in der vergangenen Saison bei Rapperswil-Jona mit 30 Skorerpunkten der viertproduktivste Schweizer Verteidiger der Liga.
Mitchell sagt: «Der Anspruch ist, dass wir jedes Jahr ein bisschen besser werden.» Von einem mirakulösen Finaleinzug, wie er einst Augsburg gelang, ist diese Mannschaft aber noch weit entfernt.