Das sagt die NZZ dazu:
Wieder keine Medaille: Die Schweizer Eishockey-Mannschaft scheitert im Viertelfinal an Finnland – was zu den Besten tatsächlich noch fehlt
Den Schweizer Spielern fehlt die tägliche Konkurrenz, um ihr Talent zur Blüte zu treiben. Die Überhöhung und Abschottung der nationalen Meisterschaft hindert diesen Prozess.
Daniel Germann
Betretene Gesichter: Für die Schweizer ist das Eishockey-Turnier an Olympia vorbei.
Salvatore Di Nolfi / Keystone
Das Olympiaturnier in Peking endet für die Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft mit einer 1:5-Niederlage im Viertelfinal gegen Finnland. Er ist die Station, die den selbst formulierten Ansprüchen des Teams nicht mehr genügt. Der Coach Patrick Fischer hatte im Vorfeld des Turniers gesagt, man habe sich lange genug mit der Zielsetzung Viertelfinal zufriedengegeben. Es sei nun an der Zeit, nach Höherem zu streben.
Fischer formulierte deshalb den Anspruch, am finalen Wochenende der Spiele, an denen im Eishockey die Medaillen vergeben werden, noch im Turnier zu sein. Dieses Ziel haben er und sein Team verpasst. Fischer sprach unmittelbar nach dem Match von einer «riesigen Enttäuschung». Man habe zu viel weggeschenkt und nicht clever genug gespielt.
Der Weg stimmt
Doch es wäre völlig falsch, deswegen nun den Weg des Trainers und der Mannschaft grundsätzlich infrage zu stellen. Das Schweizer Eishockey blickt auf eine rasante Entwicklung zurück. In den letzten neun Jahren hat die Nationalmannschaft zweimal eine WM-Silbermedaille gewonnen. 2018, im Final des Turniers von Kopenhagen, hatte sie Gold erst im Penaltyschiessen vergeben.
Der Captain Raphael Diaz sagte am Montag im Interview mit der NZZ, was gewesen sei, sei vorüber. Der Blick zurück helfe im Moment nicht mehr – weder in positiver noch in negativer Hinsicht. Fischers Haltung hat das Selbstbewusstsein des ganzen Teams auf eine neue Ebene gehoben. Dafür verdient der Trainer Respekt.
Die Schweizer spielten in Peking nur einen wirklich schlechten Match – beim 3:5 am vergangenen Samstag gegen Dänemark. Sie korrigierten den Eindruck dieses Spiels mit dem Sieg im Vor-Viertelfinal gegen die Tschechen, gegen die Siege noch vor zehn Jahren kleine Sensationen gewesen waren.
Das 1:5 zum Abschluss gegen Finnland ist ein zu brutales Resultat. Die Niederlage war vor allem ein paar individuellen Fehlern geschuldet. Vor dem 0:1 kontrollierte Mirco Müller seinen Gegenspieler zu wenig, vor dem 0:3 spielte Lukas Frick einen Backhand-Pass blind auf die Stockschaufel des Gegners, beim 0:2 lenke Santeri Alatalo einen Schuss unhaltbar für Reto Berra ab. Es war das vierte Eigentor im fünften Match und nach 24 Minuten das Ende des Turniers für den Torhüter Berra. Leonardo Genoni ersetzte ihn Sekunden später.
Gleichzeitig war die Reaktion der Schweizer auf den Fehlstart gut. Im letzten Drittel standen sie mehrmals nahe am Anschlusstreffer. Denis Malgin traf gleich zu Beginn der letzten 20 Minuten den Pfosten. Die beiden letzten Gegentore fielen jeweils ins verlassene Tor.
Das Beispiel Grégory Hofmann
Das Turnier in Peking zeigt allerdings auch, dass das Schweizer Eishockey noch nicht auf jenem Niveau ist, auf dem es sich selber gerne sieht. Nicht zum ersten Mal wurde offensichtlich, dass dem Team ohne die Spieler aus Nordamerika jene Leader fehlen, die den Unterschied machen können. Nashvilles Captain Roman Josi ist einer der weltbesten Verteidiger, den die Schweizer nicht ersetzen können. Aber auch die Abschlussstärke von Timo Meier, Kevin Fiala oder Nino Niederreiter kann Fischer mit Spielern aus der nationalen Meisterschaft nicht annähernd ersetzen.
Grégory Hofmann ist einer der torgefährlichsten Stürmer der National League. Nach seiner letzten hervorragenden Saison verliess er den EV Zug und schloss sich den Columbus Blue Jackets in der NHL an. Im Januar brach er das Experiment nach 24 Partien wieder ab. Der Trainer, so wurde kolportiert, habe ihn falsch eingesetzt.
Am Olympiaturnier blieb Hofmann in fünf Spielen ohne einen Skorerpunkt. Seine Qualitäten stehen trotzdem ausser Frage. An der WM im vergangenen Frühjahr war er der beste Schweizer Punktesammler und die Nummer 5 in der Skorerliste des Turniers. Möglicherweise ist Hofmann in Peking an der eigenen Erwartungshaltung gescheitert. Er wollte dem Management in Columbus wohl den Beweis liefern, dass es falsch entschieden hat. Stattdessen bestätigte er dessen Entscheid.
Einen ähnlichen Weg wie Hofmann gingen aus dem Schweizer Olympia-Team zuvor auch Gaëtan Haas, Sven Andrighetto, Denis Malgin, Simon Moser, Christoph Bertschy oder Joël Vermin. Sie alle sind dominante Spieler in der heimischen Liga, vermochten sich aber in der NHL nicht durchzusetzen.
Die National League ist ein hervorragend funktionierendes Produkt mit den besten Zuschauerzahlen in Europa. Doch in der Topskorerliste der laufenden Saison führt ein Tscheche (Roman Cervenka) vor einem Kanadier (Chris DiDomenico) und zwei Schweden (Henrik Tömmernes, Jesper Olofsson). Denis Malgin folgt als bester Schweizer auf Platz 7. Traditionalisten beklagen, dass die Ausländer den Schweizer Spielern den Platz wegnehmen und damit ihre Entwicklung behindern.
Das Gegenteil ist richtig: Die Schweizer Spieler haben in der Liga zu wenig Konkurrenz, um ihr Potenzial wirklich zu entwickeln. Acht der zehn Schweizer Topspieler in der NHL haben ihre Karrieren schon im Juniorenalter in Übersee vorangetrieben. Die grosse Ausnahme ist Josi, der im SC Bern gross geworden ist.
Wie inspirierend Konkurrenz für die Entwicklung sein kann, zeigt das Beispiel der Dänen. Kaum eine andere Nation hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen grösseren Sprung nach vorne gemacht. Die meisten dänischen Spieler stellen sich bereits im Juniorenalter der Konkurrenz in Schweden. Sie reiften gewissermassen unter lauter Ausländern zu Topspielern heran.
Die Erfolgsgeschichte Finnland
Die Resultate der Nationalmannschaft sind der Spiegel der Leistungen in der nationalen Meisterschaft, die im europäischen Vergleich zumindest sportlich nur zweitklassig ist. In der Champions Hockey League scheiterten die ZSC Lions und Fribourg-Gottéron als letzte Vertreter in den Achtelfinals. Zug, Lugano und Lausanne überstanden nicht einmal die Gruppenphase dieses aufgeblähten Wettbewerbs.
Finnland war mit seinen rund 5,5 Millionen Einwohnern vor Jahrzehnten das grosse Vorbild der Schweizer Eishockey-Bewegung. Jahrelang bewegte sich das Land im Schatten der grossen Eishockey-Nationen. Es suchte deren Konkurrenz und ist heute ein Teil von ihnen.
Die erste grosse Medaille gewannen die Finnen an den Winterspielen 1988 in Calgary (Silber). Seither haben sie an Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften 20 Medaillen gewonnen. Nun sind sie auch in Peking einer der Topfavoriten auf Olympiagold. Gegen Finnland zu scheitern, ist keine Schande. Doch der Match war auch ein Hinweis für die Schweizer, wie viel zu den Besten tatsächlich noch fehlt.